“Eine kreative Explosion”
“Eine kreative Explosion”

“Eine kreative Explosion”

Über eine “kreative Explosion” in schwedischen Gemeinden berichtete am vergangenen Freitag die christliche Tageszeitung Dagen. In einem größeren Bericht listete man aus dem ganzen Land alle möglichen Versuche auf, in einer neuen Zeit Gemeinde zu sein und zu leben, sei es als “Wohnzimmerkirche”, “Messy Church” oder in vielen anderen Ausdrucksformen.

Mich freuen an diesem Bericht vor allem zwei Dinge.

Erstens ist es phantastisch, weil dringend nötig, dass immer mehr Christen, Leiter und Gemeinden einsehen, dass sich so manches ändern muss, wenn wir mit den extremen Veränderungen unserer Zeit mithalten wollen. Das gilt besonders in missionarischer Hinsicht, darf aber auch für das ganz normale Gemeindeleben nicht unterschätzt werden. Jeder 08/15-Christ lebt heute in einer ganz neuen Welt mit völlig veränderten Bedingungen und Voraussetzungen. Wenn unsere Gemeinden, Botschaften und theologischen Antworten sich immer weiter vom wahren Leben da draußen entfernen, gewinnen wir nicht nur keine neuen Gläubigen, wir werden obendrein ganz schleichend auch das verlieren, was wir jetzt noch zu haben meinen.

Zweitens freut mich ganz persönlich, dass alles, was hier beschrieben, aufgelistet und als “neue Entwicklungen” präsentiert wird, H2O schon seit zwölf Jahren praktiziert. Eigentlich gibt es fast nichts, was in diesem Zeitungsartikel erwähnt wird, das H2O nicht auch zu irgendeinem Zeitpunkt durchgeführt und ausprobiert hat. Der große Unterschied ist eigentlich nur,  dass H2O ein ziemlich winziges, sehr kreatives Team war, das all diese Ideen (und noch viele andere, die hier gar nicht erwähnt werden) mehr oder weniger alleine und ohne viel Back-up großer Muttergemeinden skizziert und mit winzigen Ressourcen durchgeführt hat. Oft waren es sogar reine Null-Budget-Projekte, nur möglich gemacht durch puren Enthusiasmus. Die Tatsache, dass sich nun so viele von H2O’s ursprünglichen Projektideen hier wiederfinden (wenn auch vermutlich keine direkten Verbindungen zu H2O bestehen), beweist, dass wir in der Tat ein Zukunftsprojekt sind. Wir hatten einen guten Riecher und Ideen entwickelt, wie erst 10 Jahre später als “völlig neu” einen Durchbruch erleben würden. Das ist ein sehr subtiles Lob unserer offenbar guten Arbeit, und für mich als ehemaligen Projektleiters H2Os ist das nicht nur erfreulich, sondern sogar sehr befriedigend.

Doch ich werde auch nachdenklich. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass H2O nicht nur ein Zukunftsmesser war, sondern immer noch ist. Dieser Artikel überzeugt mich nur noch mehr davon. Und H2O ist keine schillernde Erfolgsstory wie ein fröhlich-buntes Feuerwerk. H2O hat viele Tiefschläge einstecken müssen, Widerstand erlebt, dunkle Täler des Frusts durchwandert. Wenn es so etwas wie Erfolg gab, dann war es entweder das reinste Wunder, oder der Weg dorthin war steinig, mit blutigen Blasen an den Füßen und in sehr dünner Luft.

Der Dagen-Artikel zeigt, dass Christen zwar lernen, aber langsam. Und eins haben wir noch nicht gelernt: “Gemeindeerfolg” wird sich in Zukunft ganz, ganz anders buchstabieren. Die meisten definieren Gemeindeerfolg immer noch mit Größe, Stärke und Wachstum, den typischen Markierungen der machtvollen und einflussreichen Kirche Europas. Wenn wir nur das richtige Rezept anwenden, dann werden wir groß und stark werden. Vor ein paar Jahrzehnten lautete das Rezept für manche “Willow-Creek”, heute mag es “Messy Church” oder künsterlische Ausdrucksformen sein, doch zu Größe, Stärke und Einfluss wird es insgesamt nicht mehr führen. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Gemeindererfolg der Zukunft definiert sich viel mehr als Treue, Liebe, Durchhalten und Überleben. Und wer weiß, vielleicht ist so manchem noch nicht einmal das Überleben gegönnt.

Wenn es in einigen Jahrzehnten vielleicht gar keine christlichen Tageszeitungen mehr geben wird, und wenn stattdessen alle möglichen säkularen und postsäkularen Agenturen Nachrichten über Nächstenliebe-Explosionen bei einer selten gewordenen Spezies namens “Christen” in den digitalen Medien verbreiten, dann sind wir vielleicht näher am Neuen Testament, als wir es in den vergangenen 1700 Jahren je waren.